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Juli 1998
Rezension des Artikels:

"THE NUMBER OF PEOPLE IN THE EXODUS FROM EGYPT: DECODING MATHEMATICALLY THE VERY LARGE NUMBERS IN NUMBERS I AND XXVI"
by
COLIN J. HUMPHREYS, Cambridge
Vetus Testamentum 48 (1998) 196 - 213

Mit dem Artikel von Prof. Colin J. Humphreys liegt ein weiterer Versuch vor, den Zahlen in Numeri 1 und 26 einen historischen Sinn zu unterlegen. Unter anderem bietet Humphreys auch eine quantitative Analyse der Verteilungsstruktur dieser Zahlen, ohne aber ihrer Entstehung eine spezielle Absicht zu unterstellen. Letztlich stellt sein Artikel eine Variante zum Ansatz von Mendenhall dar, allerdings mit pfiffiger mathematischer Argumentation und mit Bezug der Numeri-Zahlen auf die Zeit des Exodus, statt auf die Zeit der Könige.

Humphreys' Beitrag zeichnet sich dadurch aus, daß er mit Hilfe einiger Zusatz-Annahmen mathematische Gleichungen aufstellt, die es erlauben sollen, die wahre Größe der Stämme Israels zum Zeitpunkt des Exodus abzuschätzen sowie die Plausibilität bereits vorliegender Interpretationen der Numeri-Zahlen zu überprüfen. Im folgenden werde ich nicht seinen Artikel referieren (Sie haben ihn vor sich liegen), sondern nur einige ausgewählte Punkte kritisch beleuchten:

A) Die Grundannahme
B) Ist die Zahl 273 'likely to be correct' ?
C) Ist die vorgeschlagene Deutung der Zahlen konsistent mit der Zählung der dienenden Leviten (Num. 4)?
D) Statistische Auffälligkeiten
E) Abstract

A) Die Grundannahme
(3. The meaning of 'lp, S.199/200) 

Humphreys' grundlegende Annahme besteht darin, daß ein Schreiber (mehrere Schreiber?) beim Kopieren des Numeri-Textes das hebräische Wort 'lp an einigen Stellen falsch verstanden hat, nämlich in der Bedeutung 'tausend' anstatt in der Bedeutung 'Trupp'. Dementsprechend habe der (die?) Schreiber den Text an den über 40 Numeri-Stellen, die davon betroffen sind, im Sinne seines Mißverständnisses uminterpretiert und an den notwendigen Stellen abgeändert. Humphreys begründet die Notwendigkeit dieser Änderungen mit Bezug auf einen hypothetischen Vorläufertext. In diesem habe das Wort 'lp bei großen zusammengesetzten Zahlwortkombinationen direkt nebeneinander die beiden verschiedenen Bedeutungen 'tausend' und 'Trupp' gehabt. (S.206/7)


Den Fehler des antiken Schreibers versucht Humphreys mit angeblich ähnlichen Fehlern bei heutigen Bibelübersetzungen zu erklären: "If bible translators can misinterpret 'lp as 'thousand' (...) when 'clan' is intended (...), there is clearly scope for a scribe copying an early Hebrew text to interpret 'lp as 'thousand' (...) when 'troop' was intended." (S.200u.)

Diese Logik muß allerdings genau umgekehrt werden: Wenn schon damalige Schreiber so einen Fehler machten, dann erst recht heutige Übersetzer, denn es ist klar, daß die damaligen hebräischen Muttersprachler den Text weit besser verstanden, als Jahrtausende später lebende Übersetzer. Damit nützt das Argument aber nicht mehr, um die Annahme plausibel zu machen, daß die Schreiber damals überhaupt einen solchen Fehler machten.

Es bleibt also die Frage offen, ob sie diesen Fehler machten, und diese Problematik soll jetzt präzisiert werden. Wie haben wir uns die Entstehung des Fehlers vorzustellen? 


1) War es ein einzelner Schreiber, der, isoliert von allen anderen, einsam und allein die einzige Kopie herstellte, sozusagen die Mutter aller Kopien, die überhaupt auf uns gekommen sind und alle die gleiche (angeblich falsche) Interpretation des Wortes 'lp im Buch Numeri aufweisen? 
2) Wenn ja, wie kam es zu seiner persönlichen resp. sprachlichen Isolation, so daß er vergaß, welche Bedeutungen das Wort 'lp annehmen kann und gleichzeitig eine Kopie mit der 'falschen' Schreibweise des Numeri-Textes erzeugte, die trotz seiner Isolation die gesamte weitere Textüberlieferung bestimmte ? Wenn nein, wie kam gar eine ganze Schreibergruppe in eine derartige Isolation von der Außenwelt?
3) Wie kam der Schreiber dazu, anzunehmen, daß allen seinen Vorgängern entgangen war, was ihm, dem allein übriggebliebenen Genius, erst jetzt wieder klar wurde: Daß nämlich die Schreibweise der Zahlen, die jeder Schreiber aus dem Handgelenk beherrschte, ausgerechnet im Buch der Zahlen falsch war und nun endlich korrigiert werden mußte?
4) Warum hat er nicht gezögert und geprüft, ob nicht die ihm (angeblich) vorliegende Schreibweise in sich selbst schlüssig wäre, ergeben doch die von Humphreys rückgerechneten 'troops'-Anzahlen in der Summe nicht zufällig genau 598 (Tabelle 2, S.212, entsprechend korrekt die Summe der Männer) ? Wenn diese 598 so dagestanden hat, wie Humphreys behauptet, wie kann es dem Schreiber entgangen sein, daß dies genau die Summe der 'troops' ist?
5) Und wenn es ihm nicht entgangen war: Wie wahrscheinlich ist es, daß er, dem diese Sprache Muttersprache war, nicht auf dieselbe Idee kam, wie die Autoren heute ?
6) Ist es überhaupt möglich, die Zahlen so, wie Humphreys vorschlägt, zu konvertieren, ohne sie in ihrer ursprünglichen Bedeutung verstanden zu haben? Und wenn das nicht geht, der Schreiber sie also erst verstanden haben mußte, um sie zu konvertieren, warum sollte er sie dann überhaupt abändern?

Zu der Grundannahme einer Fehlinterpretation des Wortes 'lp paßt eine Frage von Walter J. Houston (die sich im Original auf die Verwendung poetischen Materials in biblischer Prosa bezog): "...are the authors, as some have alleged, insensitive bunglars making a botch of material they did not understand, or is it their critics who lack understanding?" [In: "Misunderstanding or midrash? The prose appropriation of poetic material in the Hebrew Bible (Part I)", ZAW 109 (1998) 342 - 355 (343).] 
Beachten wir schließlich: Es geht nicht um eine gematrische, astronomisch/ astrologische oder ähnlich künstlich zugeordnete Spezialbedeutung der Zahlen, die tatsächlich leicht in Vergessenheit geraten kann. Es geht um die in täglichem Gebrauch stehende Semantik der Zahlwörter: Zu keiner Zeit dürfte es im alten Orient eine Phase gegeben haben, in der militärische Einheiten völlig abgeschafft gewesen wären. Also wurden auch die Bezeichnungen dieser Einheiten verwendet... und gleichzeitig vergessen ("forgotten", S.206) ? Die Grundannahme einer Fehlinterpretation des Zahlwortes 'lp durch einen Schreiber ist m.E. unbegründet.

B) Ist die Zahl 273 'likely to be correct'?
(4. A new mathematical analysis, S.201-203)

An den Anfang seiner mathematischen Analyse stellt Humphreys die Annahme, daß unter den zumeist sehr großen Zahlen des Buches Numeri die Zahl 273 als 'entirely reasonable' heraussticht: "This very precise figure is reasonable not only because it is small, but it is also likely to be correct because redemption is involved, which would be taken very seriously." (S.201o.)
Nun kann man darüber diskutieren, ob diese Begründung an sich einen echten Beitrag dazu liefert, die 273 als eine 'angemessene' Zahl auszuweisen. Sicher ist aber bereits jetzt, daß sie die 273 nicht als eine 'wahrscheinlich richtige' Zahl erweist. Nehmen wir nämlich Humphreys' Lesart des Wortes 'lp auch bei der Herleitung der Zahl 273 (Num. 3,39-51) ernst, dann müssen wir uns vorstellen, daß die Erstgeborenen Israels zu 21 Trupps oder Teams (mit insgesamt 1273 Mann) zusammengefaßt wurden. Dafür fehlt aber meines Wissens jeder historische Beleg. 

Weiter ergibt sich ein entscheidendes Problem, was die angebliche Genauigkeit der Zahl 273 angeht: 
Schreiben wir die Zahl der Leviten, so wie Humphreys sie versteht (Tabelle 3, S.213): 
21 'teams' mit insgesamt 1000 Mann, dann schreibt sich die Zahl der Erstgeborenen: 
21 'troops' mit insgesamt 1273 Mann. Hierbei müssen es (21 und) 1273, nicht etwa (20 und) 2273 und auch nicht (22 und) 273 sein, weil sonst die Differenz 273 gegenüber den 1000 Leviten nicht entsteht (Gleichung (1) (S.201)):
   If - L = 273   =>  1273 - 1000 = 273.
Es muß also ursprünglich eine auf 4 (!) Dezimalen genaue Zahl für I im Text gestanden haben, während - und das ist jetzt entscheidend - die Zahl der Leviten offensichtlich nur auf 1 oder höchstens 2 Dezimalen genau war. Die 1000 Leviten ergeben sich nämlich aus 3 Gruppen, deren Größe selbst wiederum nur auf plus/minus 100 genau angegeben sind, nämlich 500 + 300 + 200. Nimmt man Humphreys' Annahme ernst, daß es sich hier um das Ergebnis einer Zählung der Leviten handelt, dann müssen die Zählergebnisse gerundet worden sein, denn es ist außerordentlich  unwahrscheinlich, daß die Anzahl der männlichen Leviten, die mehr als einen Monat alt waren, für jede der 3 Abteilungen zufällig exakt durch 100 teilbar war!

D.h. aber, bei der Differenzbildung 1273 - 1000 = 273 wird ein Fehler von mindestens plus / minus 100 gemacht und die Zahl 273 ist somit nicht genau, auch nicht 'likely to be correct', sondern höchstwahrscheinlich falsch, in jedem Fall aber unzuverlässig. Insbesondere eignet sie sich nicht als Dreh- und Angelpunkt eines Gleichungssystems, das über die Interpretation fast aller übrigen Zahlen des Numeri-Buches entscheiden soll.

Hier bietet es sich an, sogleich einen naheliegenden Lösungsvorschlag zu diskutieren (Er findet sich im Artikel von Humphreys logischerweise nicht, weil dort die Genauigkeit der Zahl 273 als gegeben vorausgesetzt wird):
Kann das Problem durch die Behauptung gelöst werden, daß die überzähligen Erstgeborenen noch einmal separat gezählt wurden? Nein, denn im Text wird ausdrücklich darauf abgehoben, daß die Gesamtsummen ermittelt wurden (Num. 3,39.40.42.43). Danach wird zwischen diesen Zahlen eine Differenzbildung vorgenommen. Wie soll dann eine separate Abzählung ausgesehen haben, ohne auf die bereits vorliegenden Gesamtsummen Bezug zu nehmen, also ohne diese Differenz zu bilden? 

Das zugrundeliegende Problem geht aber noch erheblich tiefer. Die Rundungsungenauigkeit betrifft nämlich nicht nur die Anzahl der Leviten, sondern auch die Anzahl der über zwanzigjährigen Männer Israels, so daß wir uns fragen: Wie kommt es, daß die Zahl der Erstgeborenen Israels plötzlich um einen Faktor 100 bis 1000 genauer angegeben wurde ? Und weiter: Wie kann es sein, daß bei einer wirklichen Zählung die Anzahl der Trupps auf zwei Dezimalen genau angegeben wird (z.B. 46, 59, 45, 74, ...), die Gesamtzahl der wehrfähigen Männer aber regelmäßig mit nur einer Dezimalen Genauigkeit (z.B. 500, 300, 650, 600, ...) ? Selbst bei einer Schar von 500 berittenen Beduinen ist es relativ einfach, ihre Gesamtzahl wenigstens mit einer Auflösung (wenn auch nicht unbedingt mit einer Genauigkeit) von plus/minus 1 festzustellen, wenn sie z.B. in 50 Trupps militärisch zusammengefaßt sind. Warum wurde diese Information verworfen und gerundet? Eigentlich müßte diese Tatsache Humphreys von einer historischen Interpretation abgehalten haben, denn er vertritt ausdrücklich den Standpunkt: "The prime purpose of a census is to produce accurate numbers..." (S.199). Das ist bei einem Vorläufertext, wie er ihn sich vorstellt, nicht gegeben.

Letztenendes ergibt eine Zählung von ca. 500 Menschen, die keine Genauigkeit von nur wenigen Einheiten erreicht, überhaupt keinen Sinn, denn auf plus/minus 100 läßt sich eine in 50 Gruppen gegliederte Menge von 500 Menschen schätzen, eine Zählung ist vollkommen überflüssig. Das bedeutet aber, daß die von Mendenhall und Humphreys vorgeschlagene Lesart der Zahlen den Sinn der Erzählung ad absurdum führt. 
Schließlich: In der traditionell angenommenen Lesart der Zahlen erreichen sie eine Auflösung von 3 Dezimalen, was ein sinnvoller Wert ist (wenn auch die absolute Größe der Zahlen unglaubwürdig erscheint). Allerdings bleibt die Genauigkeit der Zahl 22273 sowie der Differenz 273 suspekt. Und es ist genau diese ihre angebliche Genauigkeit und offensichtliche Unzuverlässigkeit als Zählungsergebnis, die Anlaß gibt, über eine ganz andere Interpretation der Numeri-Zahlen insgesamt nachzudenken. Was bei einer solchen Analyse herausgekommen ist, wird sich hier nachlesen lassen.


C) Ist die vorgeschlagene Deutung der Zahlen konsistent mit der Zählung der dienenden Leviten (Num. 4)?

Die von Humphreys in Abschnitt 5.2 (S.204/5) durchgeführte Überprüfung der Konsistenz der Levitenzahlen aus Num. 3 mit den übrigen Zahlen seines mathematischen Ansatzes scheint ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis zu liefern. Da er seine (bzw. Mendenhalls) Interpretation der Zahlenschreibweise auch an entfernteren Stellen des Pentateuchs wie Num. 25,9 ; Ex. 12,37 usw. anwendet (S.209/10), ist es sicher angemessen, ja erforderlich, auch die Zahlen in Num. 4 einem Konsistenztest zu unterziehen, stehen sie doch in unmittelbarem Zusammenhang mit den Zahlen in Num. 3. 
Die am Heiligtum dienenden Leviten waren nur Männer im Alter von 30 bis 50 Jahren. Ihre Anzahl nach Humphreys' Lesart:

Kehatiter:    2 'lp und  750 Mann
Gerschoniter: 2 'lp und  630 Mann
Merariter:    3 'lp und  200 Mann
---------------------------------
Summe:        7 'lp und 1580 Mann

Das heißt, die Zahl der dienenden Leviten zwischen 30 und 50 Jahren ist um 50% größer als die Anzahl der Leviten insgesamt, die 1000 betragen haben soll (Tabelle 3, S.213, Conclusion vi S. 211). Wenn die Schätzung, daß 50% der Bevölkerung unter 20 Jahre alt war (Glg. 3, S. 202), einigermaßen zuverlässig ist, dann läßt sich die Zahl der 30 bis 50-jährigen etwa mit 1/4 der Gesamtbevölkerung abschätzen. Dann müßte aber die Zahl der Leviten ungefähr 4 * 1580 = 6160 betragen, statt 1000. Also ist die Zahl der dienenden Leviten ca. 6 mal zu groß, insbesondere größer als die Gesamtzahl der überhaupt zur Verfügung stehenden Leviten.

Vergleichen wir aber im Detail. Die Größen der einzelnen Gruppen in Numeri 3 sind:

Kehatiter:    8 'lp und  300 Mann
Gerschoniter: 7 'lp und  500 Mann
Merariter:    6 'lp und  200 Mann
---------------------------------
Summe:       21 'lp und 1000 Mann

 


Für die Kehatiter gilt: Selbst wenn wir die Lesart 600 (statt 300) vorziehen, sind die 750 diensttuenden Leviten mehr Männer, als Kehat überhaupt zur Verfügung stellen kann. Dasselbe gilt für Gerschon (630 aus 500). Für Merari (200 aus 200) müßte man annehmen, daß alle männlichen Leviten zwischen 30 und 50 Jahre alt waren, was ebenfalls ausgeschlossen ist. 

Es liegt also eine schwerwiegende Inkonsistenz vor. Kann sie behoben werden? 

Um den Ansatz von Mendenhall und Humphreys zu retten, müßten wir zunächst noch einen weiteren Kritikpunkt betrachten. Humphreys kümmert sich in seinem Aufsatz nicht um die Möglichkeit, daß die Anzahl der Männer auch für die einzelnen Stämme im ursprünglichen Text mehr als 1000 betragen haben könnte. Warum sollte z.B. für den Stamm Ruben gelten: 46 'lp und 500 Mann (7. 'The correct interpretation ...' , S. 206), warum nicht beispielsweise 45 'lp und 1500 Mann oder 44 'lp und 2500 Mann? Das hätte natürlich Auswirkungen auf die Truppstärke, die dadurch rapide ansteigen würde. Aber das wäre nicht unbedingt 'schlimm'. Man könnte dann aber annehmen, daß für die Levitenzählung in Kapitel 3 etwas Ähnliches gilt, wie z.B.:

Kehatiter:    7 'lp und  1300 Mann
Gerschoniter: 6 'lp und  1500 Mann
Merariter:    5 'lp und  1200 Mann
---------------------------------
Summe:       18 'lp und  4000 Mann


Dann hätten wir Platz gewonnen, um die am Heiligtum dienenden Leviten 'unterzubringen'. Allerdings sieht das Ganze nun immer noch recht seltsam aus. Während bei Kehat 750 / 1300 = 58% der Männer Dienst tun, sind es bei Merari nur 200 / 1200 = 17%. Aber sei's drum: Nehmen wir an, auch das wäre korrekt, schließlich ist bei traditioneller Lesart das Zahlenverhältnis auch nicht restlos überzeugend (ein schlechtes Argument, ich weiß). Dann müssen wir uns weiter vorstellen, daß der Schreiber, der den hypothetischen Vorläufertext geändert haben soll, bei der Differenzbildung zwischen den Erstgeborenen und den Leviten statt 21 'lp und 1273 Mann für die Erstgeborenen 18 'lp und 4273 im Text stehen hatte, denn sonst kommt die Differenz 273 nicht heraus. Analog müßten nun für die einzelnen Stämme der Zählung in Kapitel 1 und 2 höhere Werte für die Anzahl der Männer angesetzt werden (entsprechend geringer die Anzahlen der Trupps), so daß deren Gesamtzahl ebenfalls um einen Faktor 4 größer wird.  Alle diese Zahlen müßte der Schreiber nach Humphreys Theorie abgeändert haben, ohne sie zu verstehen, ja gerade weil er sie nicht verstanden hätte! Wie glaubhaft ist das? Bei fast allen Zahlen steht nun das 'lp doppelt, da auch echte Tausender notiert werden müssen. In Kapitel zwei müssen in den Summen für die 4 Lager meist mehrere Tausender notiert werden, ähnlich wie Humphreys es bereits für die Gesamtsumme (603.550 = 598 'lp und 5 'lp und 550 Mann, S.207) vorsieht. Im Beispiel könnte das für das Ostlager so aussehen: 

Juda:      73 'lp und 1 'lp + 600 Mann
Issaschar: 53 'lp und 1 'lp + 400 Mann
Sebulon:   56 'lp und 1 'lp + 400 Mann
--------------------------------------
Summe:    182 'lp und 4 'lp + 400 Mann

Diese Summe wiederum wäre mit den drei anderen Summen zur Gesamtsumme zu addieren. Und der Schreiber sollte dabei nicht bemerkt haben, was hier vor sich geht? 


Ich meine, daß auch dieses ad hoc zur Rettung der Hypothese von Mendenhall und Humphreys konstruierte Beispiel gescheitert ist und daß es überhaupt zwecklos ist, weiter nach einer historischen Interpretation zu fahnden. Man könnte noch viele Fragen diskutieren, wie etwa: 
  • Warum schwankt eigentlich die Anzahl der Männer pro Trupp innerhalb ein und derselben Zählung so stark?
  • Wie interpretiert man nach der vorgeschlagenen Zahlenlesart die Zahlen in Num. 31, wo 675.000 Schafe und 16.000 Menschen in ein und derselben Rechnung auftauchen?
  • Warum gibt es als Truppstärke in Num. 1 und 26 nur Werte im Bereich von 200 bis 730, warum also keine Werte über 1000 und insbesondere keine Werte mit einer Hunderterziffer 0, 1, 8 oder 9?

  • Zumindest die letztgenannte Frage soll noch andiskutiert werden:

    D) Statistische Auffälligkeiten

    Nur sehr kurz möchte ich auf statistische Eigenarten der Numeri-Zahlen zu sprechen kommen, da dieses Phänomen in meinem Artikel ausführlich abgehandelt wird. 

    Es gibt mehrere statistische Phänomene, die von jeder Interpretation der Numeri-Zahlen erklärt werden müssen. Dazu gehören u.a.: 
    - Die doppelten Zahlen 40.500 und 53.400.
    - Für Num.1 und 26 vergleichbare Häufigkeiten der Ziffern in der letzten signifikanten Dezimalstelle. 
    - Sechs Zahlenpaare, deren Einzelzahlen je zwei Ziffern gemeinsam haben. 
    - Die symmetrische Verteilung dieser Zahlenpaare auf Num.1 und 26.

     Diese Charakteristika müssen statistisch bewertet und, wenn möglich, zur Interpretation der Zahlen herangezogen werden. Ein historischer Auslegungsansatz, der die Zahlen als Ergebnis einer wirklichen Zählung auffaßt, kann das nicht leisten. Schon eine einfache Betrachtung der Verteilung der Dezimalziffern macht deutlich, daß die Zahlen keiner simplen 'Volkszählung' entstammen. Man mache sich beispielsweise klar, daß die Ziffern 
    0, 1, 8 und 9 in der letzten signifikanten Dezimalen gar nicht auftauchen, und zwar weder in Num. 1 noch in Num. 26 . Das bedarf einer Erklärung, die aber durch den Ansatz von Mendenhall und Humphreys nicht geliefert wird.

    E) Abstract (Rezension 1)

    Prof. Colin J. Humphreys tried to show "that if there were '273 first born Israelites who exceed the number of Levites' (Num. iii 43), then the total number of Israelite men aged over 20 in the census following the Exodus was about 5000, not 603,550 as apparently recorded in Numbers." (p.196) This attempt of a historical interpretation of the numbers in Numbers implies a translation of the Hebrew word 'lp as 'troops' instead of 'thousand', which must be rejected in this case because of four main reasons: 
    A) The basic assumption that a scribe misinterpreted 'lp as 'thousand' where 'troop' was intended and altered the text according to his misunderstanding is unfounded and implies a chain of improbable assumptions. 
    B) The assumption that the number 273 is "likely to be correct" (p.201) can be shown to be wrong, because this number is defined as the difference between a precise (1273 first born Israelites) and an obviously rounded number (1000 Levites), which can never yield a correct number in the sense intended by Humphreys or be used to evaluate the majority of other numbers in this biblical book. In addition, the numbers of men are clearly rounded, provided they should be taken as a result of a census at all. Therefore the strangely precise number 273 (and 22273 resp.) is not "entirely reasonable". 
    C) The proposed reading of the numbers in Num. 1 - 3 is not consistent with the same reading of the numbers of the serving Levites in Num. 4 , because the number of serving Levites is greater than the number of male Levites in all. Even an extended ad hoc variant of this approach fails to work convincingly. 
    D) The striking statistical characteristics of the numbers (as explored in my article on this subject) are not explained by a historical interpretation.

    The abstract sight-seeing tour ------> This way, please

    Postscriptum:    (24. Jan. 1999) 

    Nach Lektüre dieser Rezension könnte der Leser möglicherweise zu der Schlußfolgerung gelangen, daß ich meine, der Artikel von Prof. Humphreys enthielte keine wirklich wertevolle Information. Aber ganz im Gegenteil, ich hätte nicht eine so detaillierte Rezension geschrieben, wenn ich gedacht hätte, daß es das nicht wert sei ! Der Artikel von Prof. Humphreys, speziell das Gleichungssystem, das er entwickelt hat, stellt den klügsten Ansatz zur Interpretation der Zahlen dar, den ich je gelesen habe.

    So weit ich weiß möchte Prof. Humphreys seinen Ansatz so überarbeiten, daß die Leviten etwas anders behandelt werden als die übrigen Israeliten, wobei das Argument ist, daß die Diskrepanz C) nicht zufällig die Leviten betrifft. Es gibt auch Diskrepanzen zwischen den verschiedenen sprachlichen Fassungen der alttestamentlichen Texte, die die Leviten betreffen, und die Truppgrößen, die er für die Leviten berechnet hat, unterscheiden sich stark von den anderen. Es wäre also eine sehr interessante Alternative, wenn er zeigen könnte, daß die Zahlen der Leviten in Kapitel 3 und 4 zusammen einem etwas anderen Prinzip folgen als die Zahlen der anderen Stämme in den Kapiteln 1 und 2.












    18.03.1999:

    Fortsetzungen werde ich ab sofort nur noch in Englisch schreiben, um der 'allgemeinen Internet-Öffentlichkeit' einen leichteren Zugang zu meinem Thema zu ermöglichen. Es wird kaum jemand Deutsch lernen wollen, nur um etwas über quantitative Strukturanalyse an biblischen Texten zu erfahren ;-) .

    Was die vorliegende Rezension angeht, freue ich mich ganz besonders, daß der Autor des rezensierten Artikels, Professor Colin Humphreys, Cambridge, meine Einladung angenommen hat, einen eigenen Kommentar hierzu zu schreiben! Der Kommentar findet sich im Anschluß an die englische Übersetzung meiner Rezension.

    Schöne Grüße

    Rüdiger Heinzerling
     


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